Entkusselung im Heilsmoor: Viel Lob für Baumentfernung
Seit 20 Jahren ziehen Schüler der Kooperativen Gesamtschule Hambergen jährlich in das Moor und entfernen dort jede Menge Bäume. Warum das gut ist.
Von Peter von Döllen
Daniel van Ballegoy erinnert sich: „Es war ganz schön hart. Es war nasskalt, es hatte geschneit und Wasser lief in die Schuhe.“ Vor 20 Jahren war er als Schüler bei der ersten Entkusselung im Heilsmoor dabei, ackerte, sägte und schnitt Birken und Kiefern ab und schleppte sie aus dem Moor. Heute blickt er als Erwachsener auf die Aktion zurück, die nun jährlich zum Alltag der Kooperativen Gesamtschule Hambergen (KGS) gehört. Zu Jahresanfang ziehen die jeweils siebten Jahrgänge ins Moor und helfen beim Erhalt dieser speziellen Landschaft. Für Daniel van Ballegoy hat sich die Schufterei gelohnt. Nicht nur, weil er mit seinen Mitschülern damit der Natur geholfen hat. „Es ist schön“, fasst er mit einem Lächeln zusammen und macht damit dem aktuellen siebten Jahrgang Mut. Sie werden ihm am 24. Januar nacheifern. Traditionell übernahmen sie jetzt in einer Zeremonie in der KGS-Aula die enschaft für das Moor von ihren Vorgängern, dem aktuell achten Jahrgang.
Bei der Vertragsunterzeichnung zwischen der KGS und dem Nabu Hambergen 2003 ahnte niemand, welche Erfolgsgeschichte die Zusammenarbeit mal wird, die zahlreiche Preise und Auszeichnungen einheimste und mittlerweile auch Nachahmer hat.
Der Ursprung
Der Ursprung liegt noch weiter zurück als die gefeierten 20 Jahre. Überall erwachte in den 1990er-Jahren das Bewusstsein für die Umwelt. In Hambergen gründeten 30 Aktivisten eine Ortsgruppe des Naturschutzbundes (Nabu). Sie wollen Lebensräume erhalten sowie Pflanzen und Tiere vor dem Aussterben bewahren. Im Fokus nahmen sie vor allem das Heilsmoor bei Wallhöfen, eine etwa 150 Hektar große Moorfläche, die zum Teil entwässert der Gewinnung von Weideland diente. Die Voraussetzungen waren gut: Die moortypische Flora und Fauna war zwar stark gefährdet, aber noch vorhanden, erzählt Jürgen Röper vom Nabu. Maßnahmen zur Renaturierung, insbesondere zur Wiedervernässung erschienen erfolgversprechend.
Gewaltige Aufgabe
Die Aufgabe war gewaltig: Genehmigungen von Landwirten und der Naturschutzbehörde wurden eingeholt, Gräben mussten verschlossen werden, damit das Wasser nicht abfließen kann. Dazu ist schweres Gerät nötig. Es gibt hartnäckige Gegenspieler: Birken und Kiefern, die sich immer wieder ansiedeln. „Jeder Baum braucht 300 Liter Wasser am Tag“, erklärt Thomas Köhring. Er ist Lehrer an der KGS und betreut seit Jahren die Patenschaft. Deshalb sollten die Pflanzen weichen. Doch das entpuppte sich als Sisyphusarbeit. Die Maßnahmen zur Wiedervernässung gingen nur langsam voran. Die anfängliche Begeisterung wich einer realistischen Einsicht: Über Jahrzehnte könne so viel „Manpower“ nicht aufgebracht werden, nicht bei einer so großen Fläche.
Die rettende Idee
Die rettende Idee hatten die Lehrer Fritz Hesemann und Klaus-Dieter Lüken mit Nabu-Vertretern, insbesondere Jürgen Röper: eine Patenschaft zwischen dem Nabu und der KGS. Der Deal lautete: Nabu-Vertreter kommen in die Schule, helfen bei der Gestaltung des Außengeländes, führen mit den Kindern Exkursionen durch und vieles mehr. Im Gegenzug helfen die Schüler einmal in Jahr mit einem Arbeitseinsatz beim Entkusseln des Heilsmoores. Nach einigen Versuchen wurde diese Zusammenarbeit im November 2003 mit einem Vertrag besiegelt, den beide Seiten bis heute zuverlässig erfüllen.
Wie der Nabu die Patenschaft sieht
Für die Naturschützer ist die Aktion ein Erfolg. Statt einiger aktiver Mitglieder entfernen jährlich zwischen 80 und 150 Schüler die ungewollten Pflanzen im Heilsmoor und neuerdings auch im Springmoor. Sie schaffen jeweils nur ein Teilstück – zwei bis fünf Jahre dauert es, bis die 75 Hektar Aktionsfläche durch sind. Dann geht es wieder von vorne los. „Die fortschreitende Verwaldung im Heilsmoor ist gestoppt“, freut sich Jürgen Röper. Damit das Heilsmoor ohne menschliche Hilfe weiterexistieren kann, müssten die Maßnahmen jedoch noch eine ganze Zeit weitergeführt werden. Ob der Klimawandel den Zustand des Moores verschlechtert, könne noch nicht abgeschätzt werden.
Wie die Schule das Projekt sieht
„Für unsere Siebtklässler ist es ein Ganzjahresprojekt: Beginnend mit einer Unterrichtseinheit zum Thema Moor gibt es kurz vor den Herbstferien den Kennenlerntag – eine Exkursion ins Moor mit vielen Aha-Effekten“, erklärt Lehrer Thomas Köhring. „Beim Arbeitseinsatz im Winter erfahren die Schüler und Schülerinnen, dass sie selbst aktiv Naturschutz betreiben können: Anfassen, Erleben, Mitmachen“, sagt Köhring. Und der Anblick des Erfolgs – ein riesiger Berg von entfernten Bäumchen – spreche für sich.
Im Sommer können die Schüler an kleinen Exkursionen in die umliegende Natur teilnehmen. Nabu-Mitglieder bieten aus ihren Fachgebieten und Hobbys Angeln, Vögel belauschen, Wild beobachten, Paddeln, Nachtfalter kennenlernen und mehr an.
Wie kommt die Patenschaft bei Schülern an
Es ist schwer zu beurteilen und dürfte von den Teilnehmern recht unterschiedlich gesehen werden. Das Entkusseln ist aber offenbar ein bleibendes Erlebnis. Frühere Schüler kämen bei späteren Treffen immer wieder auf die Aktion zu sprechen und wollen wissen, ob es immer noch gemacht werde. Meist könnten sie sich noch detailliert erinnern, versichert Thomas Köhring. Und er findet: „Ohne falsche Bescheidenheit können wir sagen: Bei einem Teil der Schüler, der sich schwer in Zahlen fassen lässt, haben wir Verstand und Herz erreicht.“ Die Teilnehmer hätten gelernt, warum das Moor ein wertvoller, schützenswerter Lebensraum und CO2-Speicher ist. Darüber hinaus seien sie sensibilisiert worden, aktiv Naturschutz zu betreiben, sich einzumischen. Ihr Selbstbewusstsein sei gestärkt worden. „Das ist mehr als nur Unterricht.“
Wie fällt die Bilanz aus?
Inzwischen haben mehr als 3000 Schülerinnen und Schüler beim Entkusseln geholfen. Rein rechnerisch wurde die Aktionsfläche im Heilsmoor damit vier bis fünf Mal komplett bearbeitet. Die Patenschaft hat zudem Modellcharakter und inspiriert andere Schulen und Gruppen zu ähnlichen Aktionen.
Zur Sache
Wie kommt das Moorprojekt in der Öffentlichkeit an?
Die Patenschaft wird überregional und international wahrgenommen. 2005 erschien ein Artikel in der Juma, einem Jugendmagazin, das in vielen Ländern gelesen wird. 2006 sorgte Dietmar Wonneberger vom Nabu für eine Teilnahme am Niedersachsenpreis „Unbezahlbar und freiwillig“, der schließlich auch nach Hambergen ging. 2007 wurde das Moorprojekt durch die DBU (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) gefördert. Der NDR drehte 2008 einen Film über den Arbeitseinsatz. Klaus-Dieter Lüken wurde an die Alfred-Töpfer-Akademie eingeladen und berichtete dort über die Zusammenarbeit zwischen Nabu und Schule. Von der Manfred-Hermsen-Stiftung bekamen die Partner eine Prämie, mit der sie Werkzeug ersetzten oder neu kauften. 2012 würdigte die UNO im Rahmen der „Dekade der Artenvielfalt“ Projekte, die dem Erhalt gefährdeter Pflanzen und Tierarten dienen. Das Moorprojekt wurde als Projekt des Monats ausgezeichnet. Jürgen Röper wurde von der Bingo-Lotterie zum besten Naturschützer Niedersachsens ernannt.
Quelle: https://www.weser-kurier.de/landkreis-osterholz/gemeinde-hambergen/entkusseln-in-hambergen-baumentfernung-fuer-den-moorschutz-doc7t0gxp1xu6a12hna6d6u (erschienen am 07.12.2023).