Sich eine Scheibe abzuschneiden ist nicht so einfach, wie es aussieht. Foto: Carmen Jaspersen

Berufsorientierung – Spielerische Talentsuche im Truck

Berufsorientierung – Spielerische Talentsuche im Truck

Unternehmen haben es immer schwerer, Fachpersonal und Auszubildende zu finden. Eine Lebensmittelkette versucht mit High-Tech, Interesse zu wecken.

Hambergen. Das imaginäre Fahrzeug fliegt über das Meer, flitzt an einem Fischfangboot vorbei, um gleich darauf in den Ozean abzutauchen. Den beiden Mitfahrern spritzt Wasser entgegen, eine kleine Wolke sorgt für passenden Meeresgeruch. Kippende Sitze vermitteln ruppig die Schwerkraft, die bei einem realen Sturzflug aufkommen und den Magen belasten würde: Die Illusion ist fast perfekt. Ein Hai rast auf der Jagd nach einem Happen nebenher. Und um seine Beute, den Fisch, geht es in dem Film, der im kleinen 4D-Kino auf einer 360-Grad-Leinwand läuft. Der Anbau von Äpfeln und Bananen spielt ebenso eine Rolle, wie der verantwortungsbewusste Fischfang und die Aufzucht von Tieren.

„Wir wollen den Schülern etwas zur Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln vermitteln“, erklärt Jan-Manfred Sachse, Talente-Coach bei Edeka Minden. Dafür ist er mit dem Talente-Truck des Unternehmens zur Kooperativen Gesamtschule (KGS) in Hambergen gekommen. „Wir haben festgestellt, dass viele Schüler kaum noch Bezug zu Lebensmitteln haben“, erklärt er. Entsprechend sei es um das Wissen, was im Lebensmittelhandel hinter den Kulissen passiert, schlecht bestellt. Das Interesse an den beteiligten Berufen sei ebenfalls eher gering.

Kids sollen spielerisch erreicht werden
„Wir haben uns überlegt, wie wir Kids zeitgemäß erreichen können“, sagt Sachse. In digitalen Zeiten, in denen Social Media eine wichtige Rolle spielen, müsse es ebenso plakativ wie unterhaltend sein. Das Ergebnis ist der Truck – ein ausgewachsener Sattelschlepper mit langem Auflieger. Der Hänger ist vollgepackt mit virtuellen Erlebnissen, die mittels High-Tech vieles über die Berufswelt erzählen. Gleichzeitig können die Teams auch Talente entdecken – ganz uneigennützig ist das Projekt ja auch nicht. Es geht auch darum, Auszubildende und künftige Mitarbeiter zu finden. Heute müssen Unternehmen sich um Bewerber bemühen und nicht umgekehrt. Da ist Kreativität gefragt.
Nicht alle seien völlig unbedarft, was Lebensmittel angeht. „Es stechen einige heraus“, sagt Sachse. Das könne man an den Stationen durchaus erkennen. Sie gehen oft für die Familie einkaufen, helfen im Haushalt mit. Sie sind es, die die Lebensmittelkette finden und ködern will.

Spannende Aufgaben wecken Interesse
Aber wie geht das? Die Aufgaben scheinen ziemlich spaßig und herausfordernd zu sein. Selbst einige Lehrer der KGS versuchen sich und diskutieren angeregt darüber, wie herausfordernd die Stationen sind. Was liegt da näher, als es selbst auszuprobieren? Also mal sehen: Die erste Aufgabe ist relativ einfach. Kassieren. Jeder Käufer kennt die Scannerkassen im Laden. Jetzt geht es auf die andere Seite, ins Kassenhäuschen. In einem Einkaufswagen stecken Verpackungen, die mit ihrem Strichcode über die roten Laserlinien gezogen werden müssen. Simpel – doch es gibt kein Piepsen. Klar: Der Strichcode ist auf den Waren unterschiedlich angebracht. Wenn er von den Lasern abgewandt ist, kann er nicht erfasst werden.

Dann geht es hinter eine Bedientheke. Auf einem Bildschirm erscheint eine Kundin und möchte verschiedene – auch ausgefallene – Sachen an der Frischetheke kaufen. Unter dem Bildschirm liegen verschiedene Produkte als Abbildung bereit. Je nach Bestellung muss das Passende per Knopf ausgewählt werden. Tempo und Schwierigkeitsgrad nehmen zu. Da kommt man ganz schön ins Schwitzen und ehrlicherweise sind einige Wünsche der Kunden völlig unbekannt. Was soll das sein? Ah, eine Käsesorte. Die Kundin wird ungeduldig und sie ist ja bekanntlich Königin. In der Branche muss man sich gut auskennen und Lebensmittel lieben, scheint es.

Talente finden
Das zeigt sich auch bei der nächsten Aufgabe. Auf einem Tisch liegen verschiedene Lebensmittel: Melone, Fisch, Steak, Käse. Natürlich sind sie nicht echt, ein Bildschirm zaubert sie unter ein Messer, das darüber schwebt. Nun gilt es, eine bestimmte Menge davon abzuschneiden. Mal sehen. Das Messer gleitet über eine Salami. Wo muss der Schnitt angesetzt werden, um ein Stück zu erhalten, das 250 Gramm wiegt?  265 Gramm – gar nicht schlecht, findet Jan-Manfred Sachse. Bei einem Schüler wäre er nun schon aufmerksam.

In diesem Stil geht es weiter: Pizza und Brötchen aufbacken oder Regale einräumen. Wegen des schlechten Wetters entgeht dem Neugierigen die Herausforderung, möglichst viele Waren in Frischeboxen zu verpacken. Auch der Weg eines Smoothies von der Ernte bis zur Kasse kann nicht mittels VR-Brille verfolgt werden. Beide finden normalerweise außerhalb des Trucks statt und wären an diesem Tag im Regen ersoffen.

Vortrag informiert über Ausbildungsmöglichkeiten
Zusätzlich zu den spannenden Stationen informiert Jan-Manfred Sachse in einem Vortrag über die Ausbildungsmöglichkeiten seines Arbeitgebers. Offenbar konnte er gute Überzeugungsarbeit leisten. 60 Schülerinnen und Schüler aus den achten und neunten Jahrgängen haben sich bei ihm informiert. Ihnen war freigestellt, ob sie teilnehmen möchten. Aus dem zehnten Jahrgang gab es kein Interesse. Die Schüler wissen offenbar bereits, was sie im Anschluss machen wollen, vermutet Julia Helmke. Die Lehrerin ist an der KGS für die Berufsorientierung zuständig. Sie hat nur positive Rückmeldungen von den Schülern gehört und Sachse hat registriert, dass der eine oder andere sich nun näher mit den Berufen in der Lebensmittelbranche auseinandersetzen wolle. Bewerbungen für ein Praktikum beim heimischen Edeka-Markt Sackmann gibt es auch schon. 70 Prozent aller Praktikanten fangen laut Sachse anschließend auch eine Ausbildung im Unternehmen an.

Für Julia Helmke ist der Truck eine runde Sache. Über den Laden in Hambergen sei Edeka an die Schule herangetreten und die hat das Angebot dankend angenommen. Alle Eindrücke können den Schülern bei ihrer Berufswahl helfen. Es gebe weitere solcher Trucks aus anderen Bereichen, weiß sie. Beispielsweise zu Mint-Berufen. Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Noch sind hier hauptsächlich männliche Auszubildende zu finden.
Eine eindrucksvolle Präsentation könnte daran vielleicht etwas ändern. Die KGS sei sehr daran interessiert, dass auch dieser Truck die Schule ansteuert. Julia Helmke gab sich optimistisch, dass es klappt. Filme, wie im 4D-Kino des Talente-Trucks können bei manchen Schülern einen einfachen Zugang ermöglichen – eben auch zur Berufswelt.

Von Peter von Döllen

Quelle: https://www.weser-kurier.de/landkreis-osterholz/gemeinde-hambergen/high-tech-truck-lebensmittelkette-sucht-auf-kreative-art-nachwuchs-doc7or9wfliptecrm9u1b1